„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Das Exklusionsargument

 

reductio ad absurdum = eine Annahme muss falsch sein.

Das Exklusionsargument ist ein von Jaegwon Kim[1] in verschiedenen Varianten formuliertes Argument gegen den nichtreduktiven Physikalismus.

Der nichtreduktive Physikalismus setzt sich aus 2 Grundannahmen zusammen:

1. IrreduzibilitätsannahmeMentale Eigenschaften sind nicht auf physikalische Eigenschaften ontologisch reduzierbar.

2. Abhängigkeitsannahme: Mentale Eigenschaften sind in einem hinreichend starken Sinne[2] von physikalischen Eigenschaften abhängig.[3]

1. Das Argument

Das Exklusionsargument kann in einer allgemeinen Form rekonstruiert werden, die den "kleinsten gemeinsamen Nenner" der verschiedenen Varianten einfängt:

A1. Mentale Eigenschaften sind nicht physikalischen Eigenschaften.

A2. Eine Eigenschaft kann nicht kausal relevant für das Auftreten einer Wirkung sein, wenn sie für das Auftreten dieser Wirkung nicht notwendig ist.

A3. Wenn eine mentale Eigenschaft M beansprucht kausal relevant für eine physikalische Wirkung e zu sein, dann gibt es immer auch eine (subveniente) physikalische Eigenschaft P, die denselben Anspruch erhebt.

K1. Also: Wenn eine mentale Eigenschaft M beansprucht kausal relevant für eine physikalische Wirkung e zu sein, dann stehen sie in einer Konkurrenz mit physikalischen Eigenschaften P, sodass gilt: es kann nur entweder M oder P kausal relevant für e sein.

A4. Wenn mentale und physikalische Eigenschaften in diesem Sinne konkurrieren, sind physikalischen Eigenschaften den Vorzug zu gewähren.

K2. Mentale Eigenschaften sind gegenüber der physikalischen Welt kausal-irrelevant, d.h. bloße Epiphänomene.

A5. Die Annahmen A3 - A4 sind hinzunehmen, aber die Schlussfolgerung K2 abzulehnen.

K3. Die Annahme A1 und damit auch der nichtreduktive Phyiskalismus sind falsch.

„Ex hypothesis superveniert M1 auf P1, ist jedoch von P1 verschieden [IP; S.W.J , und P1 ist eine hinreichende Ursache von P2 ... Wenn P1 jedoch eine hinreichende Ursache von P2 ist, welche kausale Arbeit (engl.: causal work) kann M1 bei der Verursachung von P2 dann eigentlich überhaupt noch verrichten [EP; S.W.J ? ... Solange M1 von P1 verschieden ist und nicht damit identifiziert wird, müssen wir uns scheinbar immer noch mit zwei angeblichen Ursachen eines einzigen Ereignisses herumschlagen. Unter der impliziten Annahme, dass die fundamentalen Kausalprozesse auf der physikalischen Ebene ablaufen [GP; S.W.J, sollte uns die kausale Rolle, die M1 in Bezug auf ein Ereignis auf der physikalischen Ebene zuzukommen scheint, vollkommen mysteriös erscheinen, und wir sollten uns fragen, welcher Zweck diesem Abklatsch, dieser >supervenienten Ursache< zukommt, die die physikalische Ursache begleitet.“

- Jaegwon Kim

1.1. Irreduzibilitätsannahme

Die erste Annahme ist identisch mit der Irreduzibilitätsannahme und damit konstitutiv für jeden nichtreduktiven Physikalismus. Sie besagt, dass mentale und physikalische Eigenschaften nicht-identisch bzw. ontologisch verschieden sind.

A1. IrreduzibilitätsannahmeMentale Eigenschaften sind nicht auf physikalische Eigenschaften ontologisch reduzierbar.

Diese Annahme wird durch sogenannte antireduktive Argumente begründet.

1.2. Exklusionsannahme

Die zweite Annahme ist die Exklusionsannhme und namensgebend für das Exklusionsargument. Sie besagt, dass Wirkungen nicht durch mehrere hinreichende type-verschiedene Eigenschaften verursacht bzw. überstimmt sind.

A2. Exklusionsannahme: Wenn die Instantiierung einer Eigenschaft F kausal hinreichend für das Auftreten einer Wirkung W ist, dann ist keine von F ontologisch verschiedene Eigenschaft G ebenfalls kausal relevant für W.[D]

Diese Annahme kann so begründet werden: Wenn zwei Eigenschaften F und G von zwei unterschiedlichen Ereignissen beanspruchen, kausal relevant für das Hervorbringen einer Ursache e zu sein, ist e durch F und G überdeterminiert.

Exklusionsprinzip: „No single event can have more than one sufficient cause at any given time – unless it is a genuine case of causal overdetermination“ (2005, 42).

 

Denn:

  • wenn F kausal relevant, d.h. unter gegebenen Umständen hinreichend für e ist, dann tritt e (unter diesen Bedingungen) unabhängig von G auf.
  • wenn G kausal relevant, d.h. unter gegebenen Umständen hinreichend für e ist, dann tritt e (unter diesen Bedingungen) unabhängig von F auf.

Aber: Wenn eine Wirkung e auftritt, weil eine Eigenschaft X hinreichend für e ist, dann scheint unklar zu sein, wie eine Eigenschaft Y noch kausal relevant für e sein kann. Denn e würde auch ohne Y auftreten, Y scheint also keine kausale Relevanz für e mehr zu haben. Diese Überlegung stützt die Exklusionsannahme.

»wenn p zum Zeitpunkt t eine hinreichende Ursache von e ist, dann hat e zu t keine von p verschiedene Ursache« (Ehring 2003, 360).

1.3. Konkurrenzannahme

Die dritte Annahme ist die für das Argument zentrale Konkurrenzannehme. Sie besagt, dass wenn eine mentale Eigenschaft M beansprucht, kausal relevant für eine physikalische Ursache e zu sein, es eine physikalische Eigenschaft P gibt, die denselben Anspruch erhebt, sodass M und P in kausaler Konkurrenz stehen.

Beispiel: Sarah holt sich ein Eis. Die mentale Eigenschaft M "Sarah hat Hunger" und die korrelierende physikalische Eigenschaft P "Sarah hat feuernde C-Fasern" beanspruchen beide, kausal relevant dafür zu sein, dass Sarah sich ein Eis holt.

Die Konkurrenzannahme sagt aber nicht nur, dass im Fall von Lisa oder in einigen Fällen, sondern dass in allen Fällen eine solche Konkurrenzsituation besteht. Diese Annahme lässt sich so begründen:

  • Mentale Eigenschaften supervenieren über physikalische Eigenschaften, d.h. für jede mentale gibt es eine subveniente physikalische Eigenschaft.(Vergleich Abschnitt 2)
  • Die physikalische Welt beansprucht, dass es für jede physikalische Wirkung eine physikalische Ursache gibt, die die ganze Arbeit übernimmt. (Vergleich Abschnitt 1.5)

1.4. erste Schlussfolgerung

Die Irreduzibilitätsannahme besagt, dass M und N verschiedene Eigenschaften sind. Die Konkurrenzannahme besagt, dass für jedes M auch ein N beansprucht kausal relevant für ein physikalisches Ereignis c zu sein. Und die Konkurrenzannahme besagt, dass nur einer der Ansprüche wahr sein kann:

K3. erste Schlussfolgerung: Wenn eine mentale Eigenschaft und physikalische Eigenschaft beansprucht, kausal relevant für eine physikalische Ursache zu sein, dann kann nur einer der beiden Ansprüche wahr sein. 

1.4. Geschlossenheitsannahme

Die vierte Annahme ist die Annahme der kausalen Geschlossenheit des Physikalischen. Sie besagt, dass die physikalische Welt ein kausal geschlossenes System ist, sodass jedes physikalische Ereignis mit einer hinreichenden Ursache (allein) eine hinreichende physikalische Ursache besitzt.

A4. Geschlossenheitsannahme: Wenn eine Ursache F ein physikalisches Ereignis e verursacht, dann gilt:

i. F ist physikalischer Natur.

ii. e braucht (hat) keine weiteren nicht-physikalischen Ursachen.

1.5. zweite Schlussfolgerung

Die erste Schlussfolgerung besagt, dass wenn eine mentale Eigenschaft und physikalische Eigenschaft beansprucht, kausal relevant für eine physikalische Ursache zu sein, dann kann nur einer der beiden Ansprüche wahr sein. Und aus der Geschlossenheitsannahme folgt, dass der Anspruch der physikalischen Eigenschaft der wahre ist. Also sind mentale Eigenschaften kausal-irrelevant  gegenüber physikalischen Ereignissen. Die zweite Schlussfolgerung lautet also:

K2. Mentale Eigenschaften sind Epiphänomene.

„Es stellt sich heraus, dass m zwei Eigenschaften hat, von denen jede kausal relevant dafür ist, dass m e verursacht, und ... M und P sind irreduzibel verschieden [IP; S.W.J. Damit stehen wir vor der Frage: Gegeben, dass die Relation zwischen m und e letztlich auf die basalen physikalischen Eigenschaften von m und e zurückgeht [GP; S.W.] ..., was bleibt für M, kausal gesprochen, noch zu tun übrig? Ms exakte kausale Rolle in diesem ganzen Bild - welchen Beitrag M zur Verursachung von e genau leistet - ist erklärungsbedürftig [EP; S.W.].“ (Kim 1993c, 26)

1.6. Evidenzannahme und dritte Schlussfolgerung

Die zweite Schlussfolgerung besagt, dass es keine mentale Verursachung von physikalischen Ereignissen gibt. Das heißt auch: keiner meiner Abwägungen, Wünsche und Entscheidungen hatte je einen kausalen Einfluss auf meine Handlungen. Kim hält diese Schlussfolgerung für absurd, aber die Annahmen A2 bis A5 für evident. Also muss die Annahme A1 falsch sein: 

K3. Die Annahme A1 und i.F. der nichtreduktive Phyiskalismus sind falsch.

2. Supervenienzargument

Das Supervenienzargument ist Kims letzte Version des Exklusionsarguments:

Siehe auch

vorherige Version dieses Eintrages (2017
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Kommentare: 3
  • #3

    Philoclopedia (Sonntag, 15 März 2020)

    Kims Supervenienzargument führt also zu einem Dilemma, das die beiden Kernthesen des nichtreduktiven Physikalismus gegeneinander ausspielt: Wer auf der Autonomie mentaler Eigenschaften beharrt, der muss sich von der Möglichkeit mentaler Verursachung verabschieden und mentale Eigenschaften zum Epiphänomen degradieren; wer umgekehrt an mentaler Verursachung festhalten und mentalen Eigenschaften einen genuinen Platz im Kausalnexus der physischen Welt einräumen möchte, der muss dies auf Kosten ihrer Autonomie tun und sie mit physischen Eigenschaften identifizieren.

  • #2

    WissensWert (Dienstag, 10 Juli 2018 20:54)

    http://www.iep.utm.edu/causal-e/

  • #1

    WissensWert (Samstag, 23 September 2017 03:08)

    Ein Lösungsansatz für das Problem der kausalen Ausschließung weist darauf hin, dass es in der realen Welt viele Eigenschaften gibt, die verschiedenartig realisiert sind, weshalb nicht auch mentale Zustände? Die Eigenschaft, ein Herd zu sein, wird zum Beispiel - ebenso wie die Eigenschaft, ein Thermostat zu sein - von einer Vielzahl physischer Zustände realisiert.

    Der Umstand, dass es so viele Eigenschaften gibt, die verschiedenartig realisiert sind, bedeutet letzten Endes, dass das Problem der mentalen Verursachung um sich zu greifen droht. Ein Beispiel: Das Wort "Analgetikum" wird benutzt, um auf schmerzstillende Arzneimittel Bezug zu nehmen. Es gibt viele ganz verschiedenartige Analgetika, unter anderem Aspirin, Paracetomol, Morphin usw. Diese Substanzen unterscheiden sich im Hinblick auf ihre chemischen Eigenschaften sowie hinsichtlich der Art und Weise, in der sie das Nervensystem beeinflussen. Mit anderen Worten: Die Eigenschaft, ein Analgetikum zu sein, wird verschiedenartig realisiert. Stellen wir uns nun vor, Max hat von dem Horrorfilm und seinem eigenen Rumgeschreie Kopfschmerzen bekommen und fasst den Entschluss, ein Analgetikum zu nehmen. Zwanzig Minuten später sind seine Kopfschmerzen verschwunden. Tatsächlich hat er zwei Aspirin genommen, und Aspirin bewirkt bestimmte schmerzstillende Veränderungen im Gehirn. Somit erhalten wir ein vertrautes Bild. Wie an diesem Beispiel offensichtlich wird, wird die ganze kausale Arbeit vom Aspirin geleistet, während die Eigenschaft, ein Analgetikum zu sein, kausal unwirksam bleibt.

    Diese Überlegungen bringen aber nicht nur die mentale Verursachung in Bedrängnis, sie zeigt auch, dass jede verschiedenartig realisierte Eigenschaft kausal unwirksam ist. Doch das ist absurd. Unsere Erklärungspraktiken sind grundlegend dadurch geprägt, dass wir verschiedenartig realisierten Zuständen und Eigenschaften Kausalkräfte zuschreiben. Anstatt diese Praktiken preiszugeben, sollten wir aufhören, uns über die dadurch aufgeworfenen Probleme den Kopf zu zerbrechen. Dies ist das erste Argument gegen Kims Problem der kausalen Ausschließung.
    Analgeticum ===> Aspirin ---> Schmerzstillung
    [Die Eigenschaft, ein Analgetikum zu sein, wird durch die Eigenschaft, ein Aspirin zu sein, realisiert. Die Eigneschaft, ein Aspirin zu sein, ist die Ursache der Schmerzstillung.]

    Es ist prima facie unplausibel anzunehmen, dass Analgetika nichts mit Stillung des Schmerzes zu tun haben, dass zwischen Herden und Überkochen von Töpfen kein Zusammenhang besteht und dass Thermostate nichts mit dem Abstellen von Heizkesseln zu tun haben. Genauso wenig intuitiv wäre es, wenn mein Wunsch, einen Kaffee zu trinken, nichts damit zu tun hätte, dass ich in die Küche gehe. Auf diese Analogie stützt sich dieses Argument. Weil es viele Eigenschaften gibt, die verschiedenartig realisiert werden, solle man nicht voreilig kausale Erklärungen, die durch Bezugnahme auf verschiedenartig realisierte Eigenschaften formuliert sind, aufzugeben.

    Ich persönlich halte dieses Argument für ziemlich schwach.


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